Chronologie

Am 5. Juli 2017 wurden die Istanbul10 verhaftet. Am 25. Oktober 2017 wurden sie wieder freigelassen. Das Gerichtsverfahren gegen sie läuft jedoch weiter. Hier finden Sie eine Zeitleiste der wichtigsten Ereignisse.

02. Juli 2017

Beginn des Seminars zu Informationsmanagement und Umgang mit Stress und Trauma im Ascot Hotel auf der Insel Büyükada vor der Küste Istanbuls.

05. Juli 2017

Am Morgen werden Nalan Erkem, Seyhmuz Ozbekli, Ozlem Dalkiran, Idil Eser, Veli Acu, Gunal Kursun, Ilknur Ustun, Nejat Tastan, Ali Gharavi und Peter Steudtner während des Seminars verhaftet.

06. Juli 2017

Erst am Nachmittag des 6. Juli bekommen sie Zugang zu Anwält*innen sowie zu Mitarbeitenden des schwedischen und des deutschen Konsulats. Am gleichen Tag wurde bekannt gegeben, dass alle festgenommenen Personen die nächsten sieben Tage in Gewahrsam bleiben sollen.

11. Juli 2017

Die Inhaftierung wurde um weitere sieben Tage verlängert. Dies ist im derzeitig geltenden Ausnahmezustand in der Türkei die längste Zeit, die Inhaftierte ohne Anklage in Gewahrsam gehalten werden dürfen. Während selbst die Anwält*innen der Verhafteten keinen Zugang zu den Unterlagen bekamen, auf denen die Verhaftungen basierten, kursierte in den türkischen Medien bereits teilweise ein Terrorismus- und Spionagevorwurf.

18. Juli 2017

Nachdem die zehn Menschenrechtler*innen von der Staatsanwaltschaft vor Gericht verhört wurden, wurde am frühen Morgen ein Verfahren wegen Verdachts auf Unterstützung einer terroristischen Vereinigung gegen sie eröffnet. Gegen sechs der zehn Menschenrechtler*innen wurde Untersuchungshaft verhängt, darunter Peter Steudtner, Ali Gharavi und Idil Eser, vier weitere kamen vorübergehend frei.

21. Juli 2017

Auf Antrag des Staatsanwaltes werden erneut Haftbefehle gegen Nalan Erkem, İlknur Üstün, Nejat Taştan und Şeyhmuz Özbekli erlassen, die am 17. Juli 2017 unter Auflagen freigelassen wurden.

Nalan Erkem wird in ihrem Haus verhaftet und in Vatan Security Directorate in polizeilichen Gewahrsam überstellt. Nach dem Gerichtsbeschluss wird sie ins Frauengefängnis Bakırköy überstellt.

22. Juli 2017

İlknur Üstün wird zuhause in Ankara verhaftet und auf Gerichtsbeschluss ins Sincan Gefängnis in Ankara überstellt.

24. Juli 2017

Nejat Taştan meldet sich bei der Staatsanwaltschaft, seine bedingte Freilassung wird am 25. Juli vom Gericht bestätigt. Mitarbeiter*innen des schwedischen und des deutschen Generalkonsulate in Istanbul können Ali Gharavi bzw. Peter Steudtner in Maltepe besuchen.

25. Juli 2017

Şeyhmuz Özbekli erscheint vor dem Diyarbakır Gericht und wird unter Auflagen auf freien Fuß gesetzt. Beide, Nejat und Şeyhmuz müssen sich zweimal die Woche in der Polizeistation melden und dürfen nicht verreisen.

31. Juli 2017

Der Einspruch gegen die Untersuchungshaft von Ali Gharavi und Peter Steudtner wird abgelehnt. Die sie vertretenden Rechtsanwälte erfahren hiervon erst zwei Tage später.

01. August 2017

Ali Gharavi und Peter Steudtner werden von Maltepe, wo sie eine Zelle teilten, in das Hochsicherheitsgefängnis Silivri verlegt und sind dort in Einzelhaft.

04. August 2017

Ali Gharavi und Peter Steudtner werden von der Einzelhaft in Zweierzellen überstellt, jedoch getrennt voneinander. Veli Acu und Günal Kursun sind weiterhin in Einzelhaft.

08. August 2017

Besuch der schwedischen und deutschen Generalkonsulate in Silivri bei Ali Gharavi bzw. Peter Steudtner.

18. August 2017

Die Anwält*innen stellen einen Haftprüfungsantrag, der allerdings wenige Tage später abgelehnt wird.

18. September 2017

Die Anwält*innen stellen erneut einen Haftprüfungsantrag, der allerdings ebenfalls abgelehnt wird.

8. Oktober 2017

Die Anklageschrift wird veröffentlicht – zunächst in den türkischen Medien, noch bevor die Anwält*innen sie offiziell erhalten. Die Anklageschrift richtet sich gegen die Istanbul10 sowie Taner Kilic, den bereits im Juni verhafteten Vorsitzenden von amnesty international Türkei. Sie wirft ihnen Unterstützung verschiedener terroristischer Organisationen vor.

Tage zuvor hatte der türkische Außenminister angekündigt, sich für einen raschen Prozessbeginn einzusetzen.

12./13. Oktober 2017

Nun sind es bereits 100 Tage seit der Verhaftung. An vielen Orten finden Solidaritätsaktionen gegen das Vergessen statt, ebenso am 14. Oktober, dem Geburtstag von Idil Eser.

17. Oktober 2017

Das Gericht nimmt die Anklage an und leitet den Prozess ein. Der erste Prozesstag soll der 25. Oktober 2017 sein.

18. Oktober 2017

Für alle acht Gefangenen wird die Zeitbegrenzung von einer Stunde pro Woche aufgehoben, die sie ihre Anwält*innen sehen können.

25. Oktober 2017

Der erste Prozesstag am Morgen. Eine Delegation internationaler Menschenrechtsorganisationen beobachtet den Prozess. Am Abend beantragt die Staatsanwaltschaft die Aufhebung der Untersuchungshaft. Kurz vor Mitternacht entscheidet der Richter, dass alle aus der Haft entlassen werden.

26. Oktober 2017

Ali Gharavi und Peter Steudtner reisen aus der Türkei aus.

22. November 2017

Der Prozess wird mit der zweiten Anhörung in Istanbul fortgesetzt. Die Auflagen für alle der Istanbul10 werden beendet. Aber der Prozess wird fortgeführt. Die nächste Anhörung ist für den 31. Januar 2017 geplant.

31. Januar 2018

Der zweite Prozesstag gegen die Istanbul 10 und Taner Kılıç endet mit der gerichtlichen Anordnung der Freilassung von Taner Kılıç. Leider legt der zuständige Staatsanwalt noch in der gleichen Nacht Widerspruch ein, dem das Gericht am folgenden Tag enspricht und die Freilassung widerruft. So wird Taner Kılıç am 1. Februar noch aus der Haft in Izmir entlassen und am Gefängnistor unter den Augen seiner Familie und Unterstützer*innen wieder festgenommen. Der nächste Verhandlungstermin wird auf den 21. Juni 2018 festgesetzt.

21. Juni 2018

Ergebnisse des vierten Verhandlungstag am 21. Juni im Gericht in Istanbul: Taner Kılıç bleibt in Haft, auch wenn zwei Polizeiberichte / Untersuchungen vorlagen, die belegen, dass Taner die sogenannte Bylock-App überhaupt nicht genutzt hat, was der Hauptbeweis gegen ihn war. Für die Istanbul10 wurden zwei weitere Zeugen gehört, die jedoch ihre eigenen belastenden Aussagen, die in der Anklageschrift wiedergegeben wurden, entkräfteten oder unglaubwürdig machten. Der nächste Gerichtstermin wurde für den 7.11. sowohl für Taner Kılıç als auch für die Istanbul10 festgesetzt.

15. August 2018

Das 35. Istanbuler Strafgericht ordnet bei einer Routineüberprüfung auf Antrag der Anwält*innen die Freilassung von Taner Kılıç an. Noch am gleichen Tag wird er aus dem Gefängnis in Izmir freigelassen, in dem er über 400 Tage in Haft saß.
Taner Kılıç's Fall war, obwohl er wegen anderer Anklagepunkte schon einen Monat vor den Istanbul10 verhaftet worden war, dem Fall der Istanbul10 unrechtmäßig hinzugefügt worden. Der nächste Verhandlungstermin ist für die Istanbul10 und Taner Kılıç am 7. November 2018.

7. November 2018

Nach einer extrem kurzen Gerichtsverhandlung entschied das Gericht heute, dass noch auf digitale Gutachten gewartet werden muss, sodass ein neuer Verhandlungstermin für den 21. März 2019 festgelegt wurde. Taner Kılıçs Reisefreiheit bleibt eingeschränkt, aber seine Anwesenheitspflicht für die Verhandlungen wurde aufgehoben. So geht #Istanbul10 in das dritte Jahr. Ein langer Atem und viel Solidarität sind weiter nötig.

21. März 2019

Das ging diesmal noch schneller als bei der letzten Verhandlung. Einige kurze Statements der Verteidigung, dann entschied das Gericht die Vertagung auf den 16. Juli 2019. Gleichzeitig ordnete das Gericht auch das Plädoyer der Staatsanwaltschaft für diesen Termin an.

16. Juli 2019

Der Prozess wurde auf den 9. Oktober 2019 vertagt. Da der zuständige Staatsanwalt kurz zuvor versetzt wurde, konnte kein Abschlussplädoyer der Staatsanwaltschaft gehalten werden. Dies wird nun für den 9. Oktober erwartet. Das Gericht traf keine weiteren Entscheidungen, obwohl entsprechende Anträge der Anwält*innen vorlagen, zum Beispiel zur Aushändigung von handschriftlichen Dokumenten der Angeklagten, die im Juli 2017 von der Polizei konfisziert und bislang noch unter Verschluss gehalten werden.

9. Oktober 2019

PROZESS GEGEN DIE #ISTANBUL10 VERTAGT AUF DEN 27. NOVEMBER 2019

Absurd, aber gleiches Spiel wie am letzten Prozesstermin: Der Staatsanwalt beantragte die Vertagung des Prozesses, da er neu in diesem Prozess sei und nicht ausreichend Vorbereitungszeit gehabt hätte. Der Richter gibt dem statt und vertagt den Prozess auf den 27. November 2019, 9h30 Istanbuler Zeit.

 

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Pressemitteilung:

Hintergrund

Am 5. Juli 2017 wurden die Teilnehmenden und Trainer eines Workshops zum Thema Umgang mit Stress und Trauma sowie Datensicherheit für türkische Menschenrechtsverteidiger*innen verschiedener Organisationen auf der Insel Büyükada verhaftet; ein Großteil der sogenannten Istanbul10 blieb für vier Monate in Untersuchungshaft. Mit der Anklageschrift wurde dieser Fall mit jenem des Vorsitzenden von Amnesty International Türkei, Taner Kılıç , zusammengeführt. Der Prozess gegen Peter Steudtner und die 10 weiteren Menschenrechtsverteidiger*innen wurde am 9. Oktober 2019 in der 7. Sitzung auf den 27. November 2019 vertagt.

Steudtner sagt hierzu:

"Die Menschenrechtsverletzungen unserer Inhaftierung vom Juli 2017 werden auf juristischer Ebene weitergeführt. Jetzt unter anderem mit Verzögerungstaktiken. Dabei wären juristische Entscheidungen sowohl für die Staatsanwaltschaft als auch für die Richter*innen so einfach: Für die politisch motivierten Beschuldigungen gibt es keine Beweise, die auch nur annähernd den Prozess rechtfertigen. Freispruch ist seit Prozessbeginn die einzig juristisch und menschenrechtlich sichere und angemessene Entscheidung.

Die an den Haaren herbeigezogenen Anschuldigungen mit dem klaren Ziel, die türkische und international Zivilgesellschaft einzuschüchtern, werden durch die erneute Prozessverzögerung nicht richtiger, aber binden leider weiter viele Kräfte der türkischen und internationalen Menschenrechtscommunity.

Allein die Tatsache, dass wir angeblich drei verschiedene Terrororganisationen, einen sogenannten Terror-Cocktail, unterstützt hätten, zeigt, dass es nicht um inhaltliche Anschuldigungen gegen uns geht, sondern darum, Menschenrechtsorganisationen zu diskreditieren und mundtot zu machen.

Die kontinuierlichen Aktionen der türkischen Zivilgesellschaft zeigen ganz klar, dass dies nicht funktioniert.

Wie auch während der Haft ist uns Sorgearbeit als Widerstandskraft auch während des Prozesses wichtig. Ich bin dankbar für alle Solidarität und für alle, die weiter mit uns gegen dieses unfaire juristische Verfahren und für die Menschenrechte kämpfen."

27. November 2019

Abschlussplädoyer der Staatsanwaltschaft: Hälfte unschuldig, Hälfte schuldig

Beim 10. Prozesstag gegen die #Istanbul10 und Taner Kılıç hielt die Staatsanwaltschaft ihr Abschlussplädoyer:

  • Taner Kılıç: schuldig wegen Mitgliedschaft in einer bewaffneten terroristischen Organisation.
  • Günal Kurşun, İdil Eser, Nejat Taştan, Özlem Dalkıran, Veli Acu: Schuldig wegen Unterstützung bewaffneter terroristischer Organisationen
  • Ali Gharavi, İlknur Üstün, Nalan Erkem, Şeyhmus Özbekli, Peter Steudtner: Unschuldig

Als nächster Verhandlungstermin wurde der 19. Februar 2020 festgelegt. Dann wird neben der Hauptverteidigung auch das Urteil des Gerichts erwartet.

Der juristische und politische Kampf für ein Ende dieses unrechtmäßigen Verfahrens geht in eine neue Runde!

19. Februar 2020

Alle erwarteten Urteilssprüche an diesem Tag. Nach knapp sieben Stunden Verteidigungsreden von uns #Istanbul10 und einem Teil unserer Anwält*innen entschied das Gericht jedoch, pünktlich Schluss zu machen und vertagte die Sitzung auf den 3. April.

Die Verteidigungsreden, die von den anwesenden #Istanbul10 vorgebracht wurden, waren sehr stark und beeindruckend. Durch die Vertagung sagte ich mit amnesty international in Berlin unsere angesetzte Pressekonferenz wieder ab und auch die sonstige Medienarbeit erübrigte sich. Nun geht es für uns darum, die kommende Zeit bis zum 3. April weiter in diesem Schwebezustand zu verbringen, der extrem Kräftezehrend ist - insbesondere für die #Istanbul10 in der Türkei. Gemeinsam mit unseren Anwält*innen - die von dieser Verzögerung auch genervt sind und neue Kraft aufbringen müssen - bereiten wir uns jetzt auf die kommende Sitzung vor.

April 2020

Das erste Mal, dass eine Verschiebung des Verhandlungstermins nachvollziehbar ist: Fast alle Verhandlungstermine der Istanbuler Gerichte wurden verschoben. Als neuer Termin wurde der 3. Juli 2020 angesetzt. Fast genau drei Jahre, nachdem die #Istanbul10 festgenommen wurden.

3. Juli 2020

4 x Haft, 7 x Freispruch lauteten die Urteilssprüche an diesem Tag. Nach den Verteidigungsreden von Ali Gharavi, Peter Steudtner, Nejat Taştan und Nalan Erkem (teilweise durch ihre Anwält*innen) verkündete das Gericht die Urteile: Taner Kılıç wurde zu sechs Jahren und drei Monaten Haft, Idıl Eser, Günal Kurşun und Özlem Dalkiran zu jeweils zwei Jahren und einem Monat Haft verurteilt. Alle anderen wurden freigesprochen. Dieses Urteil widerspricht jeglichen menschenrechtlichen Grundlagen noch dem Justizsystem der Türkei. Angesichts der Beweislage hätte alle elf Menschenrechtsverteidiger*innen freigesprochen werden müssen.

Auch wenn die Erleichterung über die sieben Freisprüche groß ist, so wird der Widerstand gegen die vier Hafturteile umgehend losgehen. Solidarität ist weiterhin und nur noch fokussierter gefragt.

31. Mai 2022

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte urteilte am 31. Mai 2022 im Verfahren "Taner Kılıç gegen die Türkei" zu Gunsten Taner Kılıçs: Der Gerichtsfhof fand keinerlei Beweise, die seine Festnahme 2017 gerechtfertigt hätten. Der türkische Staat wurde zu Zahlungen von insgesamt Euro 24500 als Entschädigung und weitere Euro 10000 als Kostenerstattung an Taner Kılıç verurteilt.

17. Oktober 2022

Das Istanbuler Kassationsgericht hat am 17. Oktober 2022 die Gerichtsentscheide der unteren Gerichte vom 3. Juli 2020 gegen Günal Kurşun, Idil Eser und Özlem Dalkıran aufgrund ungenügender Beweise für ungültig erklärt. Zusätzlich wurde das Urteil gegen Taner Kılıç mit dem Hinweis auf unvollständige Untersuchungen zurückgewiesen.

8. März 2023

Nachdem Taner Kılıç und Günal Kurşun ihre Plädoyers am 8.3.2023 gehalten hatten, vertagte das Gericht die Verhandlung auf den 6. Juni 2023, auf der die Staatsanwaltschaft ihr finales Plädoyer halten soll und es eventuell schon zu neuen Gerichtsentscheidungen kommen soll. Äußerungen des Gerichts machten deutlich, dass sie den Entscheidungen des Kassationsgerichts vom 17. Oktober 2022 folgen würden.

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Weitere Infos

Wer sind die Istanbul10?

Die Istanbul10 sind acht türkische Menschenrechtsaktivist*innen und zwei internationale Trainer. Hier finden Sie ihre Profile.